Heute Nachmittag habe ich das außerordentlich schöne Wetter hier in Grevenmacher für einen Spaziergang durch die Weinberge genutzt. Obwohl der Winter meine persönliche Lieblingsjahreszeit ist, muss ich gestehen, dass ich die nachmittaglichen Spaziergänge doch etwas vermisst habe. Ich bin meinen üblichen Weg gegangen, hinauf zur Kreuzkapelle, Wahrzeichen meiner Heimatstadt, und habe mich dann, ebenfalls wie üblich auf einer noch freien Bank für meine Nachmittagslektüre niedergelassen. Diese soll heute einmal ausnahmsweise keine Rolle auf diesem Blog spielen (Paul Éluard: «Capitale de la douleur» suivie de «l’amour la poésie» für diejenigen die es interessiert), vielmehr will ich einige meiner Gedanken während dieser kurzen Nachmittagsmediation mit euch teilen.
Meine Entscheidung, nach Trier studieren zu gehen, stieß bei sehr vielen in meinem näheren Umkreis auf Unverständnis.
„Du musst doch einmal wirklich raus aus Luxemburg!”
„Du lernst soviel mehr, wenn du einmal weg von zuhause leben musst.”
„Du musst deine Angst vor der Fremde überwinden”
„Du kannst doch nicht dein Leben lang in Grevenmacher wohnen wollen”
Diese und weitere, ähnliche Aussagen habe ich im Überschwang zu hören bekommen. Ich bin bis jetzt nie wirklich darauf eingegangen, doch heute möchte ich sie etwas breiter beleuchten.
Das Leben als Student hat eine gewisse Symbolhaftigkeit. Unabhängigkeit, Freiheit und insgesamt der Aufbruch ins Erwachsenenleben wird damit verbunden. Daran gekoppelt scheint aber auch gleichzeitig die Reise in die Ferne zu sein. Viele meiner befreundeten Literaten haben mir beispielsweise gesagt:
„Du als Literaturfreund weißt doch sicher, dass jeder Bildungsroman mit dem Aufbruch des Protagonisten in die Ferne beginnt, mit dem Verlassen des Elternhauses und des gewohnten Umfeldes”.
Dies ist mir sehr wohl bewusst, doch sollten wir gleichzeitig bedenken, dass die große Zeit des Bildungsromans bereits vorüber ist. Damals hatte „die Fremde” noch eine ganz andere Bedeutung als heute.
Ich glaube nicht, dass erwachsen werden zwingend mit dem Verlassen der Heimat verbunden ist. Natürlich ist der Übergang dadurch radikaler, manch einer brauch sicherlich auch einen derart drastischen Wechsel um wirklich Verantwortung übernehmen zu können. Doch im Gegensatz zu unserer heutigen Zeit, war es früher nur eine priviligierte Schicht, die sich ein solches Jugendabenteuer überhaupt leisten konnte. Auch heute ist es noch lange nicht für jeden eine Option weit ins Ausland studieren gehen zu können. Können all diese Menschen etwa nicht erwachsen werden ? Wohl kaum.
Nun bin ich aber zugegebenermaßen nicht gerade in dieser Situation. Ich könnte mir aufgrund der finanziellen Situation meiner Eltern und dank der mehr als großzügigen Unterstützung durch den luxemburgischen Staat ohne Probleme auch einen längeren Aufenthalt im Ausland leisten. Dennoch hat mich diese Option nie gereizt und sie tut es bis heute nicht. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass dies nichts mit „Angst” zu tun hat. Heute Nachmittag habe ich erneut genau ins Innere meiner selbst geblickt (und ich wage an dieser Stelle einmal zu behaupten, dass ich als Lyriker bereits einige Erfahrung in dieser Übung mitbringe) und keine Spur von Angst gefunden. Aber eben auch kein Interesse, keine drängende Lust in die Ferne, zumindest nicht in diesem Sinn.
Ich möchte das Erkunden fremder Orte nämlich auf gar keinen Fall kleinreden. Ich liebe es zu reisen und möchte auch in Zukunft noch sehr viele Orte dieser wunderbaren Welt kennenlernen. Aber eben als Reisender, nicht als Einwohner. Ich glaube wirklich nicht, dass ich kulturell ungebildet bin, nur, weil ich nicht weiter im Ausland studiere. Erstens besitze ich eine Zweitwohnung in Südfrankreich, habe also durchaus die Erfahrung eines Einwohners eines anderen Landes aufzuweisen und zweitens kenne ich auch sehr viele, die zwar in teilweise weitentfernten Städten studiert haben und dennoch erschreckenswert wenig Interesse für andere Kulturen aufbringen.
Ich glaube deshalb nicht, dass man nur im Ausland verantwortungsbewusst und „erwachsen” werden kann. Ich bin einer der Kandidaten meiner Partei für die Kommunalwahlen im Oktober, engagiere mich in Kulturvereinen und schreibe Bücher. Ich übernehme Verantwortung, hier und jetzt, in und für die Stadt in der ich aufgewachsen bin. Gleichzeitig reise ich, wann immer es geht und freue mich auch immer den Sommer in meiner Zweitwohnung in Frankreich verbringen zu können. Unsere Schöffin hier in Grevenmacher hat es einmal wunderbar auf den Punkt gebracht: „Ich könnte nirgendwo sonst als hier funktionieren”.
Als mein Blick heute Nachmittag über die Weinberge am sonnenbeschienenen Moseltal gestreift ist, kam ich zur gleichen Schlussfolgerung.