Entschuldigung an ein Buch

Jeder macht Fehler. Dies ist eine Erkenntnis welcher man sich bei jeder Entscheidung bewusst sein sollte. Ich schreibe diesen Artikel um einen solchen Fehler einzugestehen. Dieser Fehler betrifft die Einschätzung eines Buches. Ein Buch, welches ich das erste Mal im August letzten Jahres gelesen hatte und damals mit wenig Begeisterung und fast unter Zwang beendet hatte. Den Stil empfand ich als schwerfällig, viele Charaktere als nervig bis unsympathisch und die Geschichte an sich als eher mittelmässig spannend. Nun muss man wissen, dass dieses Buch Teil des Abiturprogramms in Luxemburg ist und ich es deswegen glücklicherweise nicht bei dieser ersten Lektüre belassen habe. Das Buch in Frage ist Madame Bovary des französischen Autors Gustave Flaubert.

Ich möchte in diesem Artikel nicht nur meinen Fehler eingestehen und meine erste eher negative Meinung widerrufen. Nein, ich möchte mich bei diesem Buch entschuldigen. Nach einer zweiten Lektüre kommt es mir nämlich einfach nicht in den Kopf, wie ich den Wert dieses Klassikers nicht sofort erkennen konnte. Madame Bovary erzählt die tragische Geschichte von Illusionen, Wünschen und wie diese von der unerbittlichen Langweile des Alltags zerbrochen werden. Emma Bovary, wenn auch mit Zeiten unbestreitbar etwas anstrengend, ist doch eigentlich die Gefangene dieser mittelmässigen Welt, welche sie in ihrer ganzen monotonen Banalität regelrecht erdrückt. Jeder der Peter Handkes Wunschloses Unglück gelesen hat*, weiß wie real dieser von Flaubert geprägte Bovarysmus wirklich ist. Wie kann man, besonders als Künstler, nicht mit dieser Gefangenen des Alltags mitfühlen? Denunziert Flaubert in seinem Roman nichts anderes als das unumgängliche Scheitern des künstlerischen Geistes in einer Welt, welche an pedantischem Kleinbürgertum und dumpfer Borniertheit kaum zu überbieten ist? Doch zum Meisterwerk wird der Roman, meiner Meinung nach, durch die Kombination von Emmas unstillbarem Lebensdurst mit Charles Bovarys fast schon hilflos wirkender Unsicherheit. Wie kann man nicht mitfühlen mit diesem Trauerspiel eines Mannes, diesem ewigen Kleinkind, welches vom Leben an sich ständig überfordert scheint? Charles Bovary ist kein schlechter Mensch, bei weitem nicht, und gerade dieser Umstand definiert die Tragik seiner Rolle. Passiv, ohne Kontrolle über seine Frau oder sogar sich selbst, schlittert er immer tiefer in eine dunkle Schlucht aus der es keinen Ausweg mehr für ihn geben soll. Anders als Emma hat er keine Illusionen, welche zerbrechen könnten. Er ist von Kind an ein gebrochener Mensch gewesen. Es ist genau diese Hilflosigkeit, die Sinnlosigkeit auch, welche die Handlung dominiert und sie so wunderschön tragisch macht. Die Unerbitterlichkeit mit welcher Flaubert seine Charaktere und mit ihnen dem Leser immer wieder die Grenzen des Menschseins aufzeigt kann einen eigentlich nicht unberührt lassen. Ob Flaubert jetzt wirklich einmal gesagt hat „Madame Bovary c’est moi” (= Ich bin Madame Bovary) wird man wahrscheinlich nie nachweisen können. Ich hingegen mache aus meiner neuen Stellung keinen Hehl: Ja, auch ich bin Madame Bovary!

Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa! Ich muss meinen Fehler also eingestehen, ich habe dieses Buch fälschlicherweise zu früh verurteilt. Verspätet und erst nach zweiter Lektüre habe ich den meisterlichen Wert dieses herrlichen Stück Literaturs erkannt und ich kann nur hoffen, dass ich ihm mit diesem kurzen Artikel die Würde und den Respekt zurückgegeben habe, welche es wirklich verdient. 

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*In Wunschloses Unglück verarbeitete Peter Handke den Selbstmord seiner Mutter, welche wie Emma Bovary ein Leben lang von den Zwängen des Dorflebens erdrückt wurde.

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