Franz Kafkas Missverständnis

Liebster Max, 

meine letzte Bitte: alles was sich in meinem Nachlass (also im Bücherkasten, Wäscheschrank, Schreibtisch zuhause und im Bureau, oder wohin sonst irgendetwas vertragen worden sein sollte und Dir auffällt) an Tagebüchern, Manuscripten, Briefen, fremden und eigenen, Gezeichnetem u.s.w. findet restlos und ungelesen zu verbrennen, ebenso alles Geschriebene oder Gezeichnete, das Du oder andere, die Du in meinem Namen darum bitten sollst, haben. Briefe, die man Dir nicht übergeben will, soll man wenigstens selbst zu verbrennen sich verpflichten.

Dein          

Franz Kafka

Franz Kafka gehört zu meinen liebsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Seine wegweisende und sehr individuelle Art zu schreiben öffnete der Literatur den Weg in den Traum und zu einem neuem Verständnis des Irrationalen. Ein Detail aus Kafkas Leben jedoch hat mich immer schon mehr beschäftigt als sein literarisches Werk an sich oder auch seine unvergleichliche Korrespondenz: seine Bitte an seinen Freund Max Brod, sein Werk nach seinem Tod zu verbrennen. Diese Entscheidung, welche Brod als guter Freund Gott sei Dank nicht respektierte, brachte mich zum Nachdenken über die Beziehung eines Künstlers zu seinem Werk und vor allem seine Macht über jenes.

Erst einmal ist diese Entscheidung Kafkas äußerst eigentümlich. Jeder Mensch, egal wie großzügig oder hilfsbereit, ist im Kern egoistisch. Dies ist keine Schande, sondern evolutiv bedingt und Teil des Menschseins. Das Bedürfnis nicht vergessen zu werden ist demnach absolut verständlich. Als Künstler ist man Schöpfer, Erschaffer seiner Werke welcher Art sie auch immer sein mögen. Viele sprechen vielleicht nicht darüber, aber ein Antrieb künstlerischen Schaffens ist immer der Gedanke, der Wunsch der Nachwelt etwas zu hinterlassen. Selbst Tagebücher, welche wir vorsätzlich nur für uns selbst führen, sind doch eigentlich immer auch für ein breiteres Publikum gedacht. Ist es wirklich bloßer Zufall, dass die Tagebücher großer Schriftsteller immer wie durch Zufall nach ihrem Tod auf ihrem Schreibtisch oder im Nachlass gefunden werden? Hätte der Autor wirklich gewollt, dass sie privat bleiben sollten hätte er sie vernichtet oder wenigstens gewünscht, dass man dies nach seinem Tod tun sollte. Also genau was Kafka von Max Brod verlangt hat.

Kafka schien es also durchaus ernst gemeint zu haben mit seinem Wunsch vergessen zu werden. Er wollte der Nachwelt nichts hinterlassen, kein einziges Wort. Sein Wunsch war es, dass mit ihm auch sein Werk sterben sollte. Doch hat ein Künstler überhaupt das Recht, in diesem Maße über sein eigenes Werk zu verfügen? Ich bin fest überzeugt, dass das Werk einen eigenen Platz einnehmen muss. Der Künstler erschafft es, doch nachdem dieser Prozess beendet ist, löst er sich von dem Geschaffenen. Das künstlerische Werk an sich entzieht sich immer dem Willen des Künstlers nach seiner Fertigstellung. Denn dieses Werk, egal von wie vielen Menschen es im Nachhinein tatsächlich gelesen wird, befindet sich ab diesem Moment im Besitz der Öffentlichkeit. Die Kunst wirkt durch den Künstler und die Worte des Künstlers werden zu den Worten der Literatur selbst. Jeder Künstler wirkt auf seine Weise an diesem gigantischen Menschheitsprojekt mit und in der Summe erwacht dieses zu ganz eigenem Leben. 

Der ehemalige Präsident der christlich-sozialen Jugend in Luxemburg und jetziger Abgeordneter für die christlich-soziale Volkspartei in der Chambre des Députés, Serge Wilmes, hat einmal während eines Besuches im Echternacher Gymnasium gesagt, dass man als Politiker nicht mehr sich selbst sondern der Öffentlichkeit gehört. Das Gleiche gilt für den Künstler und im Besonderen für sein Werk. Max Brods Verhalten war also alles andere als verwerflich, hatte Kafka doch etwas von ihm verlangt, was eigentlich gar nicht zu erfüllen ist. Genau wie im Kontext des Internets ist das so genannte „Recht auf Vergessen” für manchen vielleicht eine schöne Illusion, aber realistisch nicht zu erfüllen. Das Internet, als kollektives Gehirn aus Bits und Bytes, vergisst nicht und die Kunst schon gar nicht.

3 thoughts on “Franz Kafkas Missverständnis

  1. kennst du das Buch “1913”? Darin steht einiges über Kafka, es ist auch recht unterhaltsam zu lesen. Darin ist Kafka jemand, der sehr viel zweifelt und so schrieb er seiner Herzdame wohl mehrmals, während er auf der Reise zu ihr war, dass er doch nicht käme. Vielleicht hat sich dieser Zweifel auch in diesen Brief geschlichen.

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    1. Nein, dieses Buch war mir nicht bekannt, ich werde es mir auf jeden Fall einmal ansehen!
      Das klingt in der Tat als ob es einen Zusammenhang geben könnte, vielen Dank für den Hinweis!
      Ich muss mich dann auch noch für die verspätete Antwort entschuldigen, bin momentan dabei mein Abschlussexamen in Luxemburg vorzubereiten, was verständlicherweise viel von meiner Zeit in Anspruch nimmt.

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