Nach einer ersten spontanen Reaktion gestern, habe ich mir heute etwas mehr Zeit genommen um über die Attentate von Paris zu reflektieren und auch meine eigene Reaktion etwas genauer und kritischer zu betrachten. Den nun folgenden Beitrag habe ich heute Morgen auf meiner Facebookseite publiziert.
Zwei Tage nach den Anschlägen in Paris ist mein Geist noch immer von diesen abscheulichen Taten eingenommen. Doch es sind noch ganz andere Gedanken die mich umtreiben. Die Vorfälle in Paris lassen mich noch ganz andere weit beängstigerende Umstände erkennen und lassen mich auch mein eigenes Urteilsvermögen hinterfragen. Weder hier auf meiner Seite noch in meinem privaten Profil habe ich meinem Profilbild den von Facebook zur Verfügung gestellten Frankreichfilter verpasst. Nicht, dass ich es kein angebrachtes Zeichen der Trauer finden würde. Im Gegenteil, jeder hat das gute Recht dies zu tun und sein Mitgefühl gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen asuzudrücken. Nein, ich habe dies nicht getan, weil ich mir plötzlich meiner eigenen Heuchlerei bewusst geworden bin. Warum bin ich so erschüttert über diese Angriffe in Paris, während mich der Selbstmordanschlag des IS am Donnerstag im Libanon nicht mal ansatzweise berührt hat? Natürlich kann man es sich nun einfach machen und damit argumentieren, dass Nachrichten für uns wichtiger sind desto näher an uns sie sich ereignen. Man kann darauf verweisen, dass bei dem Anschlag im Libanon knapp 40 Menschen ums Leben gekommen sind, während wir es hier mit fast 130 Toten zu tun haben. Man kann einwenden, dass man nicht um jeden einzelnen Toten trauern kann. Doch ich will und darf mir diesen Freipass nicht gewähren. Das Entsetzen welches ich an diesem Wochenende empfinde, muss allen Opfern des Terrorismus gelten und darf sich nicht auf die Menschen in meiner direkten Nähe beschränken. Unter ihm leiden alle Menschen und nicht bloss weiße Europäer. In diesen Momenten in denen ich reflektiere, will ich nicht nur an die Opfer in Paris denken, ich will auch an die Menschen in Afghanistan, Syrien, Iran und allen anderen Krisenherde dieser Welt denken, die jeden Tag unter dem Joch des Terrorismus leiden müssen. Ich versuche mir vorzustellen, wie sich die Flüchtlinge, die genau diese Art der Gewalt jeden einzelnen Tag erlebt haben, fühlen müssen wenn sie hier von ignoranten Menschen, die nie in ihrem Leben auch nur einen Ansatz von Krieg erlebt haben, vorgeworfen bekommen, dass sie Terroristen sind. Ich versuche den Egozentrismus des Westens zu verstehen, der kaltherzig jene abweist, die vor genau dem fliehen, was wir an diesem Wochenende zu Recht als „unmenschlich” und „barbarisch” verurteilen. Ich versuche schließlich mich selbst zu verstehen, der ohne zu zögern für Paris betet, aber an die zahlreichen Opfer im Nahen Osten, über die er jede Woche in der Zeitung liest, nicht mal einen Gedanken verschwendet. Natürlich verdient Paris unser Mitgefühl. Aber diese Anschläge sollten uns auch endlich klar machen, in welcher Welt wir wirklich leben. In einer Welt in der Glück eine Seifenblase ist, die jeden Augenblick platzen kann.
Adorno sagte nach dem 2. Weltkrieg „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch”. Autoren wie Paul Celan haben das Gegenteil bewiesen und auch in diesen schwierigen Zeiten muss es die Kunst sein, die dem Leiden eine Stimme, ein Bild, einen Klang gibt. Erwartet dennoch kein Gedicht von mir zu den Ereignissen, ich besitze in diesen Tage nicht die emotionale Stärke um die Tragik dieser Welt in lyrische Worte zu fassen.
Gestern Abend hatte ich einen Auftritt mit meinem Musiktheaterverein. Unser Auftritt wurde, im Gegensatz zu vielen anderen in Luxemburg, nicht abgesagt. Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass dieser Abend geselligen Klamauks und spaßigen Gesangs uns allen sehr gut getan hat. Wenn man auch während des Auftritts selbst gar nicht daran gedacht hat, so hat sich später an der Bar bei einem guten Glas Rhäifränsch dann doch dieses gewisse „Ha seht her IS, unsere gute Laune kriegt ihr so schnell nicht unter!” Gefühl eingestellt. Deshalb ist mein Rat an euch auch der folgende:
Lacht und genießt das Leben, denn genau dies wollen uns die Terroristen nehmen. Lasst uns ihnen allen gemeinsam zeigen, dass wir standhaft bleiben gegen ihre sinnlose Gewalt, die sich gegen jene Prinzipien richtet für die unsere Vorfahren so lange gekämpft haben!