Der Tod ist genau wie die Liebe ein Topos welcher aus der Literatur nicht mehr wegzudenken ist. Oft führt das eine auch zum anderen oder stellt auf sonst irgendeine Weise eine fatale Verbindung her. Ich möchte von daher eine neue Reihe auf meinem Blog beginnen, welche ich „Fiktionale Nachrufe“ nenne. In diesen Artikeln möchte ich verstorbenen Charakteren aus literarischen Werken gedenken, sie rühmen, kritisieren und manchmal vielleicht auch verteidigen, auf jeden Fall ihnen ein Denkmal setzen. Ich beginne diese neue Reihe heute mit einem Charakter, welchen ich bereits mehrfach auf diesem Blog erwähnt habe: Emma Bovary, die Protagonistin des fast gleichnamigen Romans des französischen Schriftstellers Gustave Flaubert.
Wohl selten hat ein Mensch so polarisiert wie Emma Bovary. Eine wahre Naturgewalt, war sie Zeit ihres Lebens stets hin und her gerissen zwischen dem monotonen Leben im ländlichen Frankreich und der ausschweifenden Ekstase ihrer widersprüchlichen Fantasien. Das Schicksal hatte für Emma Rouault, wie sie vor ihrer Heirat hieß, ein schlichtes Leben vorgesehen. Schlicht, das bedeutet nicht gezwungenermaßen schlecht. Man kann annehmen, dass irgendeine andere Person ein ruhiges Landleben mit einem zugegebenermaßen nicht gerade brillanten dafür aber herzensguten Ehemann wie Charles sicher ohne Klagen genossen hätte. Nun war sie aber nicht irgendeine Person, sondern Emma Bovary und das macht sie um unzählige Längen wertvoller.
Emma Bovary war vieles, doch vor allem war sie ein Opfer. Ein Opfer, sowohl der Gesellschaft als auch der Romantik. Der Gesellschaft, weil diese sie mit ihrer dumpfen Banalität und aufgeblasenen Borniertheit in ihrem Drang nach Mehr erstickte. Natürlich könnte man meinen, sie hätte für ihr Leben dankbar sein können. Doch ist es denn so verwerflich, ein bisschen mehr vom Leben zu verlangen? Ist es ihr wirklich zu verdenken, sich eine Existenz zu wünschen die sich auch nur geringfügig von den Milliarden anderer grauer Existenzen unterscheidet die dieses Leben bereits ohne Spuren durchschritten haben? Um es mit den Worten Milan Kunderas zu formulieren: gerade in diesem einfachen, schlichten Leben liegt für Emma Bovary, wie für viele andere, die „unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Immerhin, in ihrem Versuch der alles umfassenden Langeweile zu entkommen hat sie es geschafft sich aus der Masse der Mittelmäßigen herauszuheben. Natürlich hat sie während ihres Strebens auch Fehler begangen, doch ich persönlich finde es äußerst unpassend die Person der Emma Bovary und ihr Handeln an moralischen Maßstäben von Gut oder Schlecht zu bewerten, denn sie diente ihrem Erschaffer Gustave Flaubert vor allem als Schaubild seiner Kritik. Einer Kritik in deren Zentrum die Romantik steht.
Emma Bovary war ein Opfer der romantischen Literatur. Diese Strömung in allen Ehren, doch Flauberts Kritik an ihr sollte sich jeder Literat und Leser zu Herzen nehmen. Die Romantik ist ein Gift und dazu eines der gefährlichsten überhaupt. Natürlich war sie als Strömung unumgänglich und zugegebenermaßen auch notwendig, sie brachte immerhin das Gefühl zurück in die Literatur, doch aus der Distanz betrachtet hat sie vor allem auch einen ungeheuren Schaden angerichtet und ist teilweise immer noch für fatale Verführungen verantwortlich. In ihrem emotionalen Überschwang verleitet sie den Leser zur gefährlichen Vermischung von Traum und Realität und den Künstler zu einer selbstzerstörerischen Megalomanie. Ich will dabei auf keinen Fall den Wert des Traums vermindern, man soll ruhig träumen, doch ich will gerade im Zusammenhang mit Emma Bovary hervorheben wie wichtig es ist Traum und Realität voneinander zu trennen. Emma findet zu ihrem tragischen Ende, weil sie eine romantische Heldin ist. Mit ihr lässt Flaubert am Ende auch die Romantik sterben. Gott sei Dank.
Zum Schluss möchte ich Emma Bovary dann aber auch für das ehren was sie mir persönlich gebracht hat. Unsere Beziehung hatte einige Startschwierigkeiten, doch heute kann ich ohne Scham sagen, dass ich wie die Männer in Flauberts Roman, dieser brünetten Romantikerin vom Lande verfallen bin. Nichts fasziniert den Dichter so sehr wie die Depravation, kein Gefühl ist ihm näher als das Leid. Ich fühle dich, Emma, ich fühle dein Leiden, deine Verzweiflung an der begrenzten Monotonie einer Welt die einem das Träumen verbietet! Ich kenne die Illusionen der Romantik und die dunkle Schlucht der Enttäuschung in die sie einen unweigerlich führen. Doch wärst du noch am Leben, würde ich dir sagen, verzweifle nicht, dies muss nicht das Ende sein. Denn solange die Verzweifelten zusammen sind, gibt es ein Licht für sie. Weder Charles noch deine beiden Geliebten konnten dir das bieten, was du dir gewünscht hast, weil keiner von ihnen dich vollständig begriff. Man mag argumentieren, dass du nie hättest zufrieden sein können, weil deine Wünsche widersprüchlich waren und du sie selbst nicht wirklich begriffen hast. Vielleicht entspricht dies der traurigen Realität, doch Fakt ist, dass solche Spekulationen überflüssig sind, weil Emma nicht mehr am Leben ist. Flaubert hat sicher gestellt, dass sie vom ersten Wort an zum Tode verurteilt war.