So langsam wage ich zu behaupten, dass ich alle Schichten kennengelernt habe, die dieses Land bevölkern. Ich habe Leute besucht, die in einer kleinen Lehmhütte irgendwo im Nirgendwo, nur durch ein Radio mit der Welt verbunden, leben, ich habe Leute aus der Mittelschicht kennengelernt und heute habe ich einige Ministerien in Cotonou von innen gesehen und die Gegensätze könnten nicht gravierender sein. Ich habe unter anderem das “Ministère des Affaires étrangères” (das Außenministerium) besucht, das in einem imposanten, wunderschönen Gebäude untergebracht und innen unter anderem mit Marmor ausgestattet ist, von Armut also keine Spur. Für anständige Straßen und so viel andere notwendige Investitionen ist jedoch kein Geld vorhanden… Dazu muss man jedoch auch sagen, dass das Außenministerium das Land repräsentiert und viele andere Ministerien sich ebenfalls in einem heruntergekommenen Zustand befinden, doch ein bitterer Beigeschmack bleibt trotzdem, vor allem wenn man 5 Minuten später wieder die kleinen Hütten der Menschen sieht und all die Verkäufer, die sich mühsam ihr Überleben erarbeiten.
Doch mein Aufenthalt hier hält auch anderwärtig immer wieder Überraschungen für mich bereit. So habe ich zum Beispiel auf der Arbeit sozusagen ohne Vorwarnung eine neue Patientin bekommen, ein Mädchen das an motorischen Problemen in der rechten Hand leidet. Das muss man sich ungefähr so vorstellen, dass ich gerade mit einem Mädchen Gedächtnistraining mache und jemand rauskommt und sagt: “Wenn du hier fertig bist, kannst du mit Nicole anfangen.” und wieder verschwindet, ohne jegliche Vorwarnung und ohne ein Wort der Erklärung, was denn mit Nicole los ist. Zudem spricht weder Nicole noch ihre Mutter ein Wort Französisch und ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet und bin auch kein Experte was motorische Probleme betrifft. Das entspricht nicht unbedingt der Art von Situation, auf die man in Sprach-und Literaturkursen vorbereitet wird…
Aber in solch einem Fall heißt es improvisieren und kreativ sein, auch wenn ich befürchte, dass ich bei dieser Aufgabe nicht gerade geglänzt habe, aber für die nächsten Male kann ich mich ja nun vorbereiten. Aber es ist ein interessantes Beispiel um zu zeigen, wie vielseitig das Leben ist und dass die schulischen Entscheidungen, die man trifft, keineswegs endgültig sein müssen. Ich habe 3 Jahre Literaturkurse im Gymnasium besucht und nun sitze ich in einem Dorf in Benin und arbeite mit behinderten Kindern, die größtenteils kein Französisch sprechen und für die der Begriff Literatur ein absolutes Fremdwort darstellt. Zudem verdeutlicht es für mich, dass das Leben uns doch so viel mehr beibringt, als die Schule es je vermögen wird.
Somit kann ich solch einen Freiwilligendienst bis jetzt auch nur weiterempfehlen, denn meiner Meinung nach ist es eine einzigartige Erfahrung mehrere Monate allein in einer fremden Kultur zu verbringen und somit gezwungen zu sein, sich anzupassen und lokale Einwohner kennenzulernen. Es erweitert den Horizont auf eine Art und Weise, die man eigentlich nur schwer in Worte fassen kann und man wächst an den Herausforderungen, die man meistern muss und lernt somit auch sehr viel über sich selbst. Alles in allem also eine Erfahrung, die ich auf keine Fall in meinem Leben missen möchte und ich bin glücklich, dass ich beschlossen habe, diesen Schritt zu tun und die Chance erhalten habe, dieses Vorhaben auch tatsächlich in die Realität umzusetzen.
Sophie