Warum eine Meinung ändern kann

„Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand”

Dies ist ein Zitat aus dem zweiten Teil von Goethes Faust. Ich zitiere gerade diese Stelle, weil ich von bestimmten Personen für meine Meinungsänderung bezüglich des Romans Madame Bovary kritisiert wurde. Offensichtlich haben die jeweiligen Kritiker, wie so viele, den zugegebenermaßen etwas komplexeren zweiten Teil von Goethes Meisterwerk nie gelesen. Doch da ich von Natur aus ein überaus freundlicher Mensch bin, möchte ich ihnen hier den Unsinn ihres Vorwurfs erläutern.

Was genau wird mir vorgeworfen? Vor einigen Wochen habe ich in meinem Artikel „Entschuldigung an ein Buch” meine anfänglich negative Meinung zu Gustave Flauberts Roman Madame Bovary widerrufen. Genau dies wird mir nun praktisch als Selbstverrat vorgeworfen. Ich muss an dieser Stelle ganz ehrlich zugeben, dass ich eine ganze Weile gebraucht habe um überhaupt den Sinn hinter diesem Vorwurf zu verstehen. Was ich getan habe, ist meine persönliche Meinung zu einem literarischen Werk geändert. Ich weiß nicht, ob mir meine Kritiker eventuell päpstliche Unfehlbarkeit zuweisen, eine andere Erklärung fällt mir nämlich nicht ein, warum ein Meinungswechsel so unerhört sein sollte. Für den Fall, dass dies zutreffen sollte, will ich ihnen an dieser Stelle versichern, dass ich genauso Mensch bin wie sie und mich deshalb genauso oft irren kann. Eine Meinung ist nämlich nicht gleichzusetzen mit einem Fakt. Im Fall von Madame Bovary bin ich beispielsweise alles andere als neutral an die Meinungsbildung herangegangen. Viele negative Meinungen bereits vorab kombiniert mit einer nicht wirklich intensiven Lektüre während den Sommerferien, haben mich das Werk eher überfliegen lassen, als es wirklich genau aus der Nähe zu betrachten. Ja es stimmt, dass ich das Buch noch vor wenigen Monaten als Zumutung und langweiliges Machwerk empfunden habe. Ja es stimmt, dass ich Emma Bovary als nerviges Weibstück gesehen habe, ohne jeden Tiefgang. Doch warum sollte ich nun, da ich dieses Buch Gott sei Dank zum zweiten Mal unter professioneller Führung lesen darf, nicht meine Meinung ändern können? Denn während dieser zweiten, weitaus konzentrierteren und aufmerksameren, Lektüre muss ich feststellen, dass ich das Buch eigentlich nie richtig gelesen habe. Emma Bovary ist mitnichten nervig, sie ist eine hoch komplexe literarische Figur. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass meine erste negative Reaktion vielleicht ein Schutzmechanismus war, weil ich mich selbst in ihr wiedererkannt hatte. Wie ich bereits in meinem ersten Artikel erläutert habe, sind die Leiden der Emma Bovary die Leiden des künstlerischen Geistes in der begrenzten Welt des Kleinbürgertums. Der Roman ist nicht schwerfällig, er ist ein Meisterwerk an stilistischer Eleganz und wer dies nicht erkennt, besitzt vielleicht einfach kein Gefühl für gute Literatur. Ich habe nie von mit behauptet unfehlbar zu sein und genau deshalb stehe ich weiterhin zu meinem Meinungswechsel. Ich beharre nicht stur auf einer Position nur, weil sie meine Meinung darstellt. Dies macht mich nicht heuchlerisch oder schwach, sondern aufgeschlossen und verhandlungsbereit. Ich bemühe mich um Offenheit und Toleranz und lasse mich mit überzeugenden Argumenten gerne vom Gegenteil überzeugen. Im Falle von Madame Bovary war dies eindeutig der Fall, ich habe meinen Fehler eingesehen, mich entschuldigt und ihn wieder richtig gestellt. Dass ich mich überhaupt dafür rechtfertigen muss, steigert nur meine Enttäuschung über eine Gesellschaft, die einen konstruktiven Diskurs komplett verlernt hat und für die jemand der bereit ist Kompromisse einzugehen als Verräter an sich selbst gilt.

Im Übrigen möchte ich ebenfalls darauf verweisen, dass ich nicht der Erste bin, der seine Meinung bezüglich einem literarischen Werk korrigiert. Niemand anderes als Marcel Reich-Ranicki hat in seinem Text „Selbstkritik eines Kritikers” seine anfänglich ebenfalls negative Meinung zu Günther Grass’ Blechtrommel widerrufen. Irren ist menschlich, jeder begeht Fehler, doch die wahre Charakterstärke eines Menschen zeigt sich daran, wie er mit diesen Fehlern umgeht. Mit diesem Artikel habe ich eine Rechtfertigung geliefert, die in meinen Augen eigentlich überflüssig sein sollte. Ich verschwende meine Zeit ungern mit überflüssigem, deshalb hoffe ich, dass alle Zweifel und Vorwürfe nun beseitigt sind und ich mich wieder sinnvolleren Beschäftigungen widmen kann.

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