„Mondscheinsonette” – Ein Eigenkommentar (Teil 2)

Dies ist der zweite Teil meines Eigenkommentars zu „Mondscheinsonette”. Falls ihr den ersten Teil verpasst habt, könnt ihr ihn hier nachlesen.

Mitternacht, dies ist laut symbolonline.de „[d]er Punkt des Umschlags […] die Stunde der Einweihung in den antiken Mysterien […], der tiefsten Dunkelheit, die Zeit der Geister und Dämonen, der tiefsten Schatten und des geringsten Lichts, aber auch der spirituellen und geistigen Erkenntnis”. Eine ambivalente Tageszeit also und genau aus diesem Grund erschien sie mir auch so passend für diesen Abschnitt in „Mondscheinsonette”. Denn die Sonette des Abschnittes „mitternacht” stellen die scheinbare Erfüllung der im ersten Teil geäußerten Erwartungen des lyrischen Ers dar. Die angerufene Nacht ist nun da („sie sprießt in tiefschwarzer pracht”), die Muse, antike Quelle der Inspiration, „küsst sein heißes herz” und oberflächlich gelesen scheint dieser Abschnitt tatsächlich die „glücklichste stunde” des lyrischen Ers zu beschreiben. Doch gibt es einige kleine Hinweise auf die folgenden Abschnitte und die Kurzlebigkeit dieses Zustandes der Euphorie. Im Gedicht „muse am meer” bleibt beispielsweise die Frage unbeantwortet: „wann wird er sie hören, die noten // gespielt vom ensemble der natur?”, ja man muss sich sogar die Frage stellen ob dieser Zustand der Euphorie überhaupt so wünschenswert ist wie er zunächst scheint: „nun lässt sie ihn endlich nicht mehr fliehn” heißt es etwa in „mondscheinmeditation”. Im Allgemeinen ist anzumerken, dass das lyrische Er sich zwar mehrmals in diesem Abschnitt in einem Zustand befindet, der ihm scheinbar eine Einweihung in die Geheimnisse der Natur ermöglicht, die eigentlichen Geheimnisse aber jedes Mal verborgen bleiben. Selbst der Vers „er findet sich selbst in der leere” wirkt in diesem Interpretationszusammenhang deutlich ambivalenter als während der ersten Lektüre. In diesem Zusammenhang ist auch ein alternativer Blick auf das Sonett „warmer novemberabend” lohnenswert. Oberflächlich und vor allem unabhängig von den anderen Gedichten betrachtet könnte man annehmen es handele sich um einen schlichten Lobgesang auf den Wein. Doch eigentlich beinhaltet dieses Gedicht ein Schlüsselelement zum Verständnis dieses ganzen Abschnitts: die Präsenz des antiken Gottes Dionysos und der Hinweis, dass der Klang der „dunklen melodie” eine Folge des Genusses dieser „rötliche[n] glut” ist, weist auf die rauschhafte Natur dieses Zustandes der Euphorie hin. Ein Rausch ist bekanntlich verbunden mit einem künstlich (künstlerisch?) herbeigeführten Zustand höchster Euphorie gefolgt allerdings durch einen oftmals doppelt so intensiven Absturz. Dieser folgt dann auch im nächsten Abschnitt, doch bevor ich mich diesem widme, muss ich noch kurz über das letzte Sonett dieses Abschnitts sprechen: „zwei eins”. Denn dieses Sonett unterscheidet sich grundsätzlich von den anderen, insbesondere dadurch da es in meinen Augen das einzige Gedicht ist, welches eine wahre Glückssituation des lyrischen Ers beschreibt. Das Glück in diesem Sonett ist kein rauschhaftes, durch Substanzen oder künstlerische Vorstellung herbeigeführtes, flüchtiges Glück, nein es ist weitaus realer und konkreter, weil es an eine andere Person gebunden ist. Das lyrische Er fühlt sich dieser anderen Person so verbunden, dass er sich fast schon mit ihr zu identifizieren beginnt: „getrennt im körper, vereint im geist”. Es ist diese „verbindung zweier seelen” die den einzigen Ausweg des lyrischen Ers aus seiner begrenzten Welt des Scheins darstellt, weil sie die Grenzen des eigenen Bewusstseins verwischt. Die Aneinanderreihung der Zahlwörter „zwei eins” im Titel stellt diese Verschmelzung optisch dar, auf semantischer Ebene verlieren sie dadurch ihre Bedeutung und werden praktisch austauschbar. Die physische Trennung wird fast schon zur Irrelevanz reduziert: „zwei hüllen für ein einziges herz”. Bis heute ist dieses Gedicht für mich persönlich das einzige im ganzen Band, welches eine wahre Glückssituation beschreibt. Doch zugleich ist es auch kein Zufall, dass es das letzte Gedicht des Abschnitts „mitternacht” ist. Denn nach diesem wahren Höhepunkt muss gezwungenerweise der Absturz folgen.

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Der dritte Teil dieses Eigenkommentars wird in zwei Wochen, also am 11. Dezember, veröffentlicht.


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